Interview mit Sandra Jakisch

Gesundheit
Interview mit Sandra Jakisch


Sandra Jakisch arbeitet als Resilienz Coachin in Berlin. Die 47-Jährige unterstützt ihre KlientInnen dabei, Stress zu regulieren, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und ihre Ressourcen zu aktivieren.


Interview Yannah Alfering
Fotografie Peter Wolff

Frau Jakisch, als Resilienz Coachin helfen Sie Menschen dabei, ihre mentale Gesundheit zu stärken. Wieso ist das wichtig?

Sandra Jakisch

Chronischer Stress hat bereits nach sechs Wochen Auswirkungen auf Körper, Geist und Psyche. Wir fühlen uns dann häufig unruhig, getrieben, gereizt, wütend oder auch traurig. Vielen Menschen fällt es schwer abzuschalten. Ihre Gedanken kreisen immer wieder um die gleichen Themen. Das kann auf Dauer erschöpfend sein.

Ich helfe Menschen dabei herauszufinden, was sie gerade herausfordert. Erst wenn wir mental gestärkt und gesund sind, gelingt es uns, ausgeglichen und zufrieden zu leben. Wir sind widerstandsfähiger, also resilient. Resiliente Menschen besitzen die Fähigkeit, sich an schwierige Situationen gut anzupassen, flexibel zu reagieren und durch herausfordernde oder stressige Zeiten tatsächlich auch an Stärke zu gewinnen. Die gute Nachricht ist: Resilienz ist erlernbar.

Wie sieht ein mental gesunder Mensch denn aus?

SJ

Ich glaube, mental gesunde Menschen sind flexibel. Auch ihnen passieren natürlich herausfordernde Situationen, aber sie können mit Stress anders – wir sagen regulierter – umgehen. Sie kommen schneller wieder zur Ruhe. Das heißt, sie können sich beispielsweise streiten und danach sagen: OK, das war jetzt der Streit. Das ist passiert. Ich habe ihn wahrgenommen, aber jetzt kann ich ihn wieder gehen lassen. Sie finden für sich Lösungen oder nehmen eine andere Perspektive ein. Häufig ist nicht das Problem das Problem, sondern die Beziehung, die wir zu dem Problem haben.

Es geht also um Widerstandsfähigkeit?

SJ

Es geht nicht darum, ständig ein Fels in der Brandung zu sein. Wir sind Menschen mit Emotionen und keine Roboter. Es geht vielmehr darum, die Gefühle und Signale wahrzunehmen und zu erkennen: Das tut mir jetzt gerade weh oder macht mir Angst. Und dann kümmern Sie sich um die Gefühle, indem Sie zum Beispiel eine kurze Pause nehmen, aus dem Raum gehen und dreimal tief durchatmen. Gerade in Momenten von Wut oder Angst ist es auch hilfreich, unserem Bewegungsimpuls zu folgen. Spazierengehen, Radfahren, auf der Stelle hüpfen oder Laufen ist super, um angestaute Energie, die durch Emotionen entstanden ist, rauszulassen.

Wenn ich mental stabil bin, gelingt es mir, mutig mit meinen Emotionen in Kontakt zu treten. Dann bin ich mir meiner Selbst bewusst.

Gibt es wiederkehrende Themen, mit denen Ihre KlientInnen zu Ihnen kommen?

SJ

Die meisten Menschen sind emotional gestresst. Wenn die mentale Gesundheit nicht im Gleichgewicht ist, leidet häufig das Selbstwertgefühl. In diesem Moment sind die Menschen sich ihrer Stärken nicht mehr bewusst. Es kommen aber auch Menschen, die nicht abschalten können oder Probleme in ihrer Partnerschaft haben.

Viele Menschen kommen gerade verstärkt, weil sie sich unruhig fühlen, Schwierigkeiten haben einzuschlafen oder durchzuschlafen. Gerade jetzt während der Corona-Pandemie sind viele Menschen erschöpft von der permanenten Anspannung, die um sie herum herrscht. Gleichzeitig sind sie überlastet, weil sie zu viel arbeiten und wenige Pausen machen.

Haben Sie das Gefühl, dass Menschen ihr Bewusstsein für Stress verloren haben?

SJ

Der Körper signalisiert schon relativ früh, wenn eine Situation zu viel wird. Zum Beispiel durch Kopf- oder Rückenschmerzen, durch Druck in der Magengegend oder Verspannungen im Kiefer. Viele Menschen beißen im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammen. Es ist ratsam, diese Gefühle nicht wegzuschieben, sondern die eigenen Bedürfnisse anzuerkennen und rechtzeitig auf den Körper zu achten. Wichtig ist, sich einfach mal zu fragen: Wie geht es mir heute eigentlich? Was täte mir jetzt gut? Welche Signale sendet mir mein Körper? Achtsamkeit ermöglicht es, den eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse besser kennen zu lernen. Und sie gibt dem Gehirn Zeit zum Durchlüften.

Wie können Menschen im Alltag achtsamer sein?

SJ

Man kann sich nicht immer sofort hinsetzen und meditieren. Dafür sind viele Menschen zu unruhig. Es ist hilfreich, Stück für Stück damit zu beginnen. Achtsamkeit lässt sich in kleinen Schritten üben. Was nehme ich im Außen wahr, was nehme ich im Innen wahr?

Wie geht das, sich achtsam wahrnehmen?

SJ

Kinder sind ein gutes Beispiel. Gehen Sie neugierig durch die Straßen, nehmen Sie vielleicht auch mal andere Wege als bisher, schauen Sie Häuser und Bäume an. Oder achten Sie beim Essen auf den Geschmack und den Geruch. Stellen Sie sich Fragen: Was brauche ich gerade? Habe ich Hunger? Habe ich Durst? Wie fühle ich mich gerade? Was kann ich Freundliches zu mir selbst sagen?

Der nächste Schritt wäre dann Meditation. Das müssen keine 45 Minuten täglich sein, hauptsache sie meditieren regelmäßig. Manchmal reichen schon fünf Minuten Atemübungen täglich, um das vegetative Nervensystem und somit unsere Resilienz zu stärken.

Warum hilft uns Achtsamkeit?

SJ

Sie hilft uns dabei, Dinge zu erkennen, die ganz automatisch ablaufen. Wir reagieren oft impulsgetrieben. Der Verstand wird immer mehr ausgeschaltet und es kommt zu Blackout-Momenten. Uns verschlägt es die Sprache, wir erstarren oder würden am liebsten wegrennen oder kämpfen. Man spricht hier von der Fight-or-Flight-Reaktion. Wenn es uns gelingt, uns in stressigen Situationen unserer Emotionen bewusst zu werden, dann können wir selbstbestimmt reagieren. Dann bleiben wir handlungsfähig.

Wie häufig sollte ich meine Resilienz trainieren?

SJ

Würden wir uns nicht mehr bewegen, würden wir erschlaffen. So ähnlich ist es mit dem Training zur mentalen Gesundheit. Wir brauchen regelmäßiges Training in Form von Achtsamkeit, Bewegung und dem Austausch mit anderen Menschen.

Wir können in emotionalen Momenten nur gelassen reagieren, wenn wir vorher in entspannten Situationen geübt haben. Deshalb sind Atemübungen so wichtig. Ich empfehle meinen KlientInnen, damit zu beginnen, dreimal täglich lange ein- und auszuatmen.

Aus der Forschung wissen wir, dass nach 60 Tagen neue Muster entstehen können, die dann wieder automatisch ablaufen. Trainiere ich also das lange Ausatmen, was mein vegetatives Nervensystem und mein limbisches System in stressigen Situationen beruhigt, kann es mich irgendwann ganz automatisch beruhigen, wenn ich es benötige.

Viele Menschen leiden unter Schlafstörungen. Haben Sie Tipps, die helfen könnten?

SJ

Wenn der Körper zur Ruhe kommt, zeigt er manchmal stärker, wenn etwas im Ungleichgewicht ist. Deswegen werden so viele Menschen im Urlaub krank. Wenn wir bestimmte Themen tagsüber verdrängen, holen sie uns am Abend ein. Deshalb sind Rituale vor dem Schlafen hilfreich. So kann es zum Beispiel helfen, die letzten Nachrichten drei Stunden vor dem Schlafengehen zu lesen oder das Handy rechtzeitig weg zu legen, damit der Kopf genug Zeit hat, zur Ruhe zu kommen.

Wenn man im Bett liegt und ein Thema noch schwer im Magen oder auf der Brust liegt, ist es gut, dieses Gefühl einfach erstmal wahrzunehmen. Hilfreich ist, sich zum Beispiel die Hand auf diese Körperstelle zu legen. Berührung beruhigt den Körper. Genau wie langes Ausatmen.

Ein Ritual, das ich selbst mit meiner Familie zum ersten Lockdown eingeführt habe, ist, die Füße vor dem Einschlafen mit Lavendelöl zu massieren. Das kann man bei den Kindern, dem Partner oder bei sich selbst anwenden und sorgt für Beruhigung und einen entspannten Schlaf.

Was macht man, wenn die Gedanken vor dem Schlafengehen kreisen?

SJ

Wenn Sie sich sehr unruhig fühlen, hilft es, den ganzen Körper vor dem Zubettgehen auszuschütteln. Das klingt ein bisschen lustig, aber es hilft. Der Traumatherapeut Dr. Peter Levine hat mit anderen Wissenschaftlern Tiere in der freien Wildbahn beobachtet. Tiere schütteln sich den Stress nach einem Kampf oder einer Gefahr ab. Auch uns Menschen tut es gut, die angestaute Energie des Tages abzuschütteln oder abzuklopfen. Klopfen Sie einfach mit den Fingerspitzen Ihren Brustkorb, die Arme, Hände, Beine, den Rücken und auch Ihr Gesicht ab. Das beruhigt das vegetative Nervensystem.

Wenn es Ihnen schwer fällt abzuschalten und Sie häufig grübeln, hilft Wärme. Tragen Sie eine warme Wollmütze oder wärmen Sie Ihre Hände vor dem Einschlafen an, indem Sie sie fest aneinander reiben. Legen Sie die erwärmten Hände auf der Stirn ab. Sie können auch von den Augenbrauen hoch zum Haaransatz streichen. Das lässt die Gedanken zur Ruhe kommen.

Lassen Sie uns doch auch noch über das Thema Work-Life-Balance sprechen. Wie schafft man es, ein ausgeglicheneres Leben zu führen?

SJ

Es ist wichtig, sich genügend Pausen und Schlaf zu gönnen. Besonders im REM-Schlaf wird Stress reguliert. Wir brauchen diese Erholung, um mental ausgeglichen zu sein.

Versuchen Sie, Ihren Tag zu strukturieren. Stehen Sie zu ähnlichen Zeiten auf, halten Sie Pausen ein und beenden Sie das Homeoffice zu festen Zeiten. Das gibt Sicherheit und Halt. Gerade im Homeoffice ist es wichtig, zu humanen Zeiten Feierabend zu machen, sich bewusst Zeit für angenehme Dinge und Freunde einzuplanen – auch wenn der Kontakt aktuell mehr über Zoom oder das Telefon stattfindet.

Wir Menschen brauchen soziale Verbindungen. Und Freude. Freude stärkt unser Immunsystem. Lächeln Sie, machen Sie einen Lieblingssong an und tanzen Sie, egal ob alleine oder via Zoom mit Freunden – das bringt die Leichtigkeit zurück und stärkt mental.

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