Interview mit der Schlafcoachin Julia Beroleit

Gesundheit
Interview mit der Schlafcoachin Julia Beroleit

Früher arbeitete Julia Beroleit als Projektmanagerin in verschiedenen Berliner Agenturen. Als sie Mutter wurde, merkte sie: “Dieser Job ist nicht das, was ich machen möchte.” Sie kündigte, machte eine Massage-Ausbildung und spezialisierte sich auf Mütter, Schwangere und Babys. Ein immer wiederkehrendes Thema: Schlaf. Besser gesagt: Schlafmangel. Als Julia Beroleit erfuhr, dass es Ausbildungen zur Schlafcoachin gibt, zögerte sie nicht lange. Seit 2016 ist sie zertifizierte Schlafcoachin und spezialisiert sich auf Babys und Eltern.


Dieses Interview wurde 2021 geführt.

Warum beschäftigen Sie sich mit Schlafproblemen?

Julia Beroleit

Weil sie einem eigentlich überall begegnen. Egal ob Kind, Teenager, Student, junge Eltern, ältere Menschen: Das Thema Schlafprobleme zieht sich durch alle Bereiche und Altersklassen.

Wenn ich auf auf einer Feier gefragt werde, was ich beruflich mache und daraufhin erzähle, dass ich Schlafcoachin bin, sind die Leute meistens Feuer und Flamme. Ich sage immer schnell dazu, dass ich auf Babys und deren Eltern spezialisiert bin, aber gefühlt jede zweite Person würde sich gerne über das Thema austauschen. Das finde ich spannend.

Woran liegt es, dass so viele Menschen nicht gut schlafen?

JB

Ich glaube, der Ursprung liegt in der Industrialisierung und der Entwicklung von elektrischem Licht. Vorher sind die Menschen müde geworden, sobald es dunkel wurde, und bei Sonnenaufgang wieder aufgestanden. 15-35 Prozent der Menschen in Industrieländern leiden an Schlafmangel – also daran, dass sie nachts weniger als sieben Stunden schlafen. Die einen können abends nicht einschlafen, die anderen schlafen zwar ein, wachen aber mitten in der Nacht auf und haben Probleme weiterzuschlafen.

Die Ursache ist meistens Stress in den unterschiedlichsten Formen. Es kann sein, dass man über die Vergangenheit oder die Zukunft grübelt, Stress in der Partnerschaft hat, oder über den Job, die Existenz, Geldsorgen oder die Familie nachdenkt. Corona hat diese Ängste natürlich nochmal gepusht. Gerade die Eltern waren wirklich am Limit. Die Akkus sind leer.

Wie genau wirkt sich Stress auf unseren Schlaf aus?

JB

Letztendlich ist es eine Frage des Nervensystems. Wenn der Vagusnerv, der durch unseren ganzen Körper geht, ständig auf Anspannung steht, können wir nicht runterkommen. Das wird irgendwann chronisch und führt unweigerlich zu Schlafproblemen, weil der Kopf nicht aufhört, zu denken.

Tipps wie Meditation werden oft belächelt, aber tatsächlich lässt sich unser Nervensystem vor allem durch unsere Atmung steuern. Damit habe ich es proaktiv in der Hand – natürlich nur, wenn keine weitere psychische Erkrankung vorliegt.

Es kommen überwiegend Eltern mit ihren Kindern zu Ihnen. Was sind die häufigsten Probleme?

JB

Bei Babys und Kleinkindern zwischen null und anderthalb Jahren geht es meistens um das Thema Durchschlafen. Manche Kinder wachen vier- bis fünfmal pro Nacht oder sogar stündlich auf. Einige Eltern empfinden das nach vier Monaten als unzumutbar. Andere machen das anderthalb Jahre lang mit und sagen dann: “Jetzt könnte sich mal langsam was ändern.” Das hat viel mit den bisherigen Gewohnheiten zu tun. Mit welchem Akku wurde in die Elternschaft gestartet? Hatte die Mama schon vor der Schwangerschaft Schlafprobleme? Viele Eltern gehen davon aus, dass sie besser schlafen würden, wenn das Baby besser schläft, aber das ist nicht so leicht. Wir können über Strukturen sprechen, wir können gucken, wie das Baby einschläft und wie wir ihm zeigen können, das selbständiger zu tun. Wir können aber nicht sagen: So, ich zeig dir jetzt mal, wie man schläft und dann kannst du das bitte. Und wenn eine Mutter zu mir sagt, dass sie auch schon vorher schlecht geschlafen hat, dann müssen wir unbedingt auch darüber reden und gucken: Wie kannst du dir Auszeiten verschaffen, um dich zu entlasten?

Glauben Sie, dass sich der Stress der Eltern auf das Kind überträgt?

JB

Auf jeden Fall. Die erste Sprache, die Kinder lernen, ist Körpersprache. Sie verstehen noch nicht, was wir sagen, aber sie spüren unseren Herzschlag – und eben auch unsere Anspannung. Ein Baby fühlt sich dann unwohl, weint oder hat das Gefühl, nicht angenommen zu werden. Je gestresster ich als Mutter oder als Vater bin, desto schwerer kann eine Co-Regulation stattfinden. Es gibt natürlich auch Kinder, die aus sich heraus total entspannt und resilient sind, aber das ist vielleicht ein Drittel. Über ein Drittel tut sich damit schwerer und wieder Drittel sehr, sehr schwer.

Wie läuft eine klassische Sitzung bei Ihnen ab?

JB

Ich lasse immer ein siebentägiges Schlaf-Protokoll führen. Wann wacht das Kind auf? Wann macht es sein erstes Schläfchen? Wann das zweite? Wann das dritte? Außerdem möchte ich wissen, wo die Kinder schlafen und was sie in der Zwischenzeit machen. Wann gibt es Essen? Wann wird gespielt? Wann gibt es Pausen?

Seit Corona arbeite ich ausschließlich online. Deshalb lasse ich gerne Videos von der Abendroutine oder dem Einschlafritual machen. Für mich ist es wahnsinnig erhellend zu sehen, wie die Interaktion zwischen Eltern und Kind abläuft. Eltern übersehen manche Signale, zum Beispiel, wenn das Baby versteckt gähnt oder besonders überdreht ist. Es gibt auch Eltern, die kaum mit ihren Kindern sprechen, sondern einfach machen. Meine Erkenntnisse teile ich dann natürlich mit den Eltern und die sind oft überrascht, wenn sie sich selbst zugucken. Ich glaube, diese Spiegelung ist ganz wichtig. Die eine Sache ist, wie ich mich sehe, aber noch wichtiger ist in dem Moment, wie ich nach außen wirke. Und das ist oft gestresster, als man vermutet hätte. Dann erarbeiten wir gemeinsam Wege, neue Strukturen zu schaffen oder an der Kommunikation zu arbeiten.

Welche Tipps haben Sie für Erwachsene?

JB

Auch da würde ich ein Protokoll vorschlagen, in dem notiert wird, wann sich wie viel bewegt wird, wann gegessen, wann Feierabend gemacht und wann geschlafen wird. Danach ist die Lage oft klar: Die Person bewegt sich quasi gar nicht. Sie setzt sich morgens ins Auto oder in die Bahn und fährt zur Arbeit. Tagsüber bewegt sie sich maximal zum Mittagessen. Dann hat sie um 18 Uhr Feierabend und fährt wieder nach Hause. Da macht sie dann eigentlich auch nichts weiter, außer sich auf die Couch zu setzen und bis 24 Uhr zwischen Social Media und Netflix-Serien hin und her zu schalten.

Ich kann das alles auch total gut. Aber ich merke immer wieder, dass ich abends eigentlich keine Serien gucken darf, weil ich total daran hängen bleibe, viel zu spät ins Bett gehe und schlechter schlafe. Um einzuschlafen, brauchen wir das Schlafhormon Melatonin – und das wird in der Dunkelheit gebildet. Solange wir Licht anhaben und auf ein Display gucken, kann es sich nicht bilden und wir bleiben wach. Irgendwann fallen wir dann einfach in einen Erschöpfungsschlaf.

Auch das Thema Schlafhygiene sollte bei Erwachsenen nicht außer Acht gelassen werden. Wie ist mein Bett? Wie ist meine Matratze? Wie sind meine Kissen? Das Schlafzimmer sollte der ruhigste Raum der Wohnung oder des Hauses und schön kühl und gut gelüftet sein. Außerdem sind regelmäßige Schlafenszeiten wichtig. Auch psychische Erkrankungen wie Burn-Out oder Depressionen können für Schlaflosigkeit sorgen. Das bedarf dann aber einer medizinischen Indikation.

Es gibt ja ganz viele Menschen, die nur einschlafen können, wenn der Fernseher läuft oder sie einen Podcast hören. Ist das ein Problem?

JB

Ich glaube, das ist Ablenkung. Täten sie das nicht, müssten sie ihren eigenen Gedanken nachhängen. Deshalb hören oder schauen sie lieber etwas, das sie davon ablenkt. Verständlich. Das Problem ist, dass man sich in dem Moment nicht mit den Sachen beschäftigt, die einen beschäftigen. Man schiebt sie weg. Und dann nimmt man sie mit in den Schlaf, und das Unterbewusstsein muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Das kann wiederum dazu führen, dass man schlechter schläft. Trotzdem würde ich nicht pauschal sagen, dass Hörbücher oder Podcasts zum Einschlafen ein Problem sind. Aber vielleicht lieber ein beruhigender Meditations-Podcast als “Die drei ???”.

Gerade im Winter sind wir Menschen oft besonders müde. Ist es in Ordnung, einfach mal um 20 Uhr schlafen zu gehen?

JB

Wir Menschen sind ja von Natur aus ganz gut auf die unterschiedlichen Jahreszeiten eingestellt. Wenn es im Herbst anfängt, früher dunkel zu werden, wird man auch früher am Abend müde. Wenn ich dann mal das Bedürfnis habe, mich um 20:30 Uhr ins Bett zu legen, dann mache ich das auch. Man kann den Signalen des Körpers ruhig mal nachgeben. Es kann natürlich passieren, dass man dann um drei Uhr morgens hellwach ist, aber das ist ja vielleicht auch mal OK. Die Frage ist: Wie ernst nehme ich mich und mein Körpergefühl?

Wie wichtig ist ein erholsamer Schlaf für unser Wohlbefinden?

JB

Sehr wichtig. Ich glaube, spätestens wenn Menschen Eltern werden, merken sie, was Schlafmangel wirklich bedeutet. Und dass Schlaf existenziell ist, im Sinne von: Ich leide oder ich schaffe gewisse Dinge nicht mehr. Schlafmangel geht stark auf die Stimmung, man wird reizbarer. Und trotzdem messen wir dem Thema noch immer nicht genug Bedeutung bei.

Welche drei Dinge könnte jede Person mit Schlafproblemen ausprobieren?

JB

Ich habe mal von einem total spannenden Experiment gehört. Das ist vielleicht ein bisschen radikal, aber ich fand das super. Angeblich soll es total helfen, ab sieben oder acht Uhr abends kein elektrisches Licht mehr anzumachen und sich nur noch bei Kerzenschein zu bewegen. Und dann im besten Fall kein Handy, sondern ein Buch lesen oder eben schlafen gehen.

Es kann auch helfen, nicht zu spät zu essen und mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren. Ich glaube, Bewegungsmangel ist eines unserer Hauptprobleme. Weil wir uns zu wenig bewegen, haben wir zu viele Stress-Hormone in uns. Der Körper speichert über den Tag zu viel Anspannung – und die muss irgendwo hin. Aber ich kenne das ja selber, das sind alles so langweilige Dinge, bei denen man sagt: “Eine halbe Stunde laufen, 10.000 Schritte am Tag, kein Alkohol, keine Serie. Ach komm, dann lass ich's lieber gleich.” Ich fürchte, dass wir Erwachsenen lieber bei unseren alten Gewohnheiten bleiben (lacht).

Kontakt/ Adresse

Julia Beroleit
Schlafcoach I Babyschlaf I Kinderschlaf
Instagram
www.cosy-eleven.de

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