Interview mit Frau Holtgrave der Altenberger Buchhandlung

Interview mit Frau Holtgrave der Altenberger Buchhandlung

Mechthild Holtgrave ist die Inhaberin der Altenberger Buchhandlung, dem einzigen Buchladen der 12.000 Einwohner Gemeinde Altenberge im Münsterland, die auch Otto Keller seine Heimat nennt. Unsere Autorin Lisa Hesener hat mit ihr über Kopfkino, gute Bücher und ihre Leseroutine gesprochen.

Frau Holtgrave, erzählen Sie doch mal, seit wann Sie Buchhändlerin sind und warum Sie sich für diesen Beruf entschieden haben.

Mechtild Holtgrave

Gleich nach meinem Abitur habe ich meine Buchhandelslehre in einer Buchhandlung in Coesfeld begonnen. Seitdem bin ich ununterbrochen Buchhändlerin. Warum ich Buchhändlerin geworden bin, kann ich nur mit einem Gefühl beantworten. Ich war im zweiten Schuljahr und habe ein Buch gelesen. Aus den Buchstaben wurden plötzlich Bilder in meinem Kopf und das fühlte sich an wie ein Wunder. Dieses Gefühl habe ich immer noch, wenn ich daran denke. Wenn ich Bücher lese, lese ich sie nicht, ich lebe in diesen Büchern. Häufig ist es ein Vorteil, sich alles sehr plastisch vorstellen zu können, aber sobald ich einen blutigen Krimi lese, nehme ich das zu sehr auf und mit in den Schlaf. Daher muss ich wirklich auf mich aufpassen und schauen, dass ich dann etwas anderes lese. Wenn man etwas liest, verbindet man das mit den Bildern, die einem das Leben gegeben hat, daher ist das eigene Zuhause oft teil dieser Filme im Kopf. Das macht es manchmal besonders unheimlich, spannende Bücher zu lesen. Aber die Faszination dessen, was da im Kopf vor sich geht und dieses Kopfkino zu haben, das hat mich nie verlassen.

Ihr Buchladen ist noch relativ jung, sie haben 2020 eröffnet. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie einen eigenen Buchladen haben?

MH

Ich glaube, da bin ich eine ziemlich typische Buchhändlerin. Jeder Buchhändler und jede Buchhändlerin träumt davon, so einen kleinen, süßen, schnuckeligen Laden aufzumachen. Ich habe schon viele Jahre lang zuvor als Angestellte in einem Buchladen in Havixbeck gearbeitet und bin damals 2009 zusammen mit der Inhaberin in die Altenberger Filiale gewechselt. 2019 kam dann das Gerücht auf, dass das Haus, in dem die Buchhandlung war, abgerissen werden sollte. Dieses Gerücht verdichtete sich immer mehr und die Inhaberin hatte eigene Pläne, nach Havixbeck zurückzukehren und die Buchhandlung in Altenberge zu schließen. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, überhaupt konkret darüber nachzudenken, eine eigenen Laden zu eröffnen. Ich dachte: “Es kann nicht sein, dass Altenberge keine Buchhandlung mehr hat”. Die letzten zwei Jahre vor der endgültigen Schließung, habe ich die Filiale dann als Filialleitung geleitet, während die Inhaberin bereits nicht mehr vor Ort war. In dieser Zeit sind viele Kunden reingekommen, die immer wieder gesagt haben, dass nicht dazu kommen dürfe, dass Altenberge keinen Buchladen mehr habe. Das war der Anstoß für die Diskussion mit mir selbst, da ich eigentlich eher vorsichtig und sicherheitsbedürftig bin. Aber mein Mann hat mich bei der Entscheidung unterstützt und ich war mir sicher, dass ich von der Altenberger Bevölkerung getragen würde. Damals ahnte ich noch nicht, dass Corona sich noch so lange ziehen würde und habe es sicherlich immer mal wieder für einen kurzen Moment bereut. Am Ende bleibt aber, dass ich ohne Bücher nicht leben könnte. Sie sind nichts besonderes und doch sind sie unglaublich besonders. Sie sind für mich wie Atmen, wie Luft, wie Wasser. Ich brauche das zum Leben und ich wollte Altenberge etwas zurückgeben.

Den meisten in unserem Team fällt es schwer, regelmäßig zu lesen. Können Sie uns etwas über Ihre persönliche Leseroutine erzählen? Wie schaffen Sie es, so viel zu lesen?

MH

Viele Leute denken immer, als Buchhändler würde man den ganzen Tag in seinem Laden sitzen und lesen. Tatsächlich ist das das Einzige, was wir hier nicht machen können. Wenn wir lesen, dann in unserer Freizeit. Natürlich lese ich trotzdem viel. Ich habe zum Beispiel immer ein Buch dabei, ganz egal wo ich bin. Wenn ich auf den Bus warte, im Wartezimmer beim Arzt sitze oder in meiner Mittagspause - ich lese immer, wenn sich mir die Möglichkeit bietet. Abends lese ich immer eine halbe Stunde und ich schaue kaum Fernsehen. Wenn doch, dann gucke ich sehr gezielt, weil mir die Zeit einfach zu schade ist. Und ich habe eine Regel: Hat mich ein Buch nach 150 Seiten nicht gepackt, schließe ich es wieder und nehme ein Neues. Wir bekommen so viele Leseexemplare, dass wir es anders gar nicht schaffen könnten, uns alle anzusehen. Daher erlaube ich es mir, es einfach zu akzeptieren, wenn mir ein Buch nicht gefällt und es dann auch nicht zu beenden.

Was macht denn für Sie ein gutes Buch aus? Wie entscheiden Sie, dass es das Buch wert ist, mehr als 150 Seiten zu lesen?

MH

Ein gutes Buch muss mich packen, das muss mich haben, da muss ich drin sein. Es darf mich nicht quälen, sondern es muss mir leicht fallen, es zu lesen. Es muss kein schönes Buch sein, es können auch harte Themen sein, aber letztendlich muss es mich fesseln. Wenn mich ein Buch langweilt, lese ich es eben nicht weiter.

Haben Sie aktuell ein Lieblingsbuch? Oder gibt es ein Buch, das Ihr Leben beeinflusst oder Sie bewegt hat?

MH

Ich sage immer, mein Lieblingsbuch ist genau das, was ich gerade lese. Es gibt viele Bücher, die mich wirklich beeindruckt haben. Jedoch immer ein anderes Buch für unterschiedliche Lebensphasen. Ich habe damals “Der Fänger im Roggen” zweimal gelesen, was für eine Buchhändlerin wirklich ungewöhnlich ist, da es uns an neuem Lesestoff nicht mangelt und die Zeit zu schade ist, das gleiche Buch noch einmal zu lesen. Eine Offenbarung war für mich “Der Herr der Ringe”, weil ich bis dato diese Fantasy-Welt noch nicht erkundet hatte und sich mir so eine völlig neue Welt darbot. “Die Brüder Löwenherz” habe ich in meiner Kindheit verschlungen und werde die Geschichte wohl auch niemals vergessen. “Unsere Seelen bei Nacht” war auch so eins. Es geht um eine ältere Dame, die ihren Mann verliert und daraufhin einen Witwer aus der Nachbarschaft bittet, nachts rein platonisch neben ihr zu schlafen, da sie Atemgeräusche zum Einschlafen vermisst. Die Reaktion von ihrem Umfeld, ihren Kindern und Bekannten ist natürlich spannend und ganz großartig beschrieben.

Hat sich Ihre Leidenschaft zu Lesen verändert, seit Sie einen eigenen Buchladen haben?

MH

Das schöne ist, ich kann mir so viele Bücher wünschen, wie ich möchte. Mein Problem ist aber, wenn ich einen anstrengenden Tag habe, schaffe ich es nicht immer, abzuschalten und mich dann auf ein Buch einzulassen. Mit einem eigenen Laden hat man eben nie so richtig Feierabend und alles hat mich Büchern zu tun. An den meisten Tagen gelingt es mir aber zum Glück trotzdem ganz gut. Daher ist der Faktor Zeit meistens das größte Hindernis. Ich finde es schade, dass ich nicht schaffe, mehr als zwei bis drei Stunden pro Tag zu lesen.

Kontakt/ Adresse

Die Altenberger Buchhandlung
www.buchhandlung-altenberge.de

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